KROKODIL STORY
- Teil 1 -
Wie fünf Eidgenossen den Schweizer Progressive-Rock
zur Welt brachten


Nicht umsonst stand im schweizerischen Musikkalender der Januar 1969 rot angestrichen. Es war die Geburtsstunde von KROKODIL, einem rockigen Ungetier aus dem progressiven Underground von Zürich, das alles in Frage stellte, was konventionell denkenden Pop- und Schlagerhirnen lieb und teuer war. Popmusik sollte von nun an nicht mehr nur zugänglich und tanzbar sein. "Die Schweiz braucht neue Gruppen, die frei von Plagiaten etwas eigenes schöpfen, lautete die Devise, "nur so wird das Publikum auf die Kreativität in der Musik aufmerksam." Um sich von kommerziellen Bands abzuheben, nannte man sich ganz bewußt KROKODIL und nicht etwa THE CROCODILES.

KROKODIL bestand zunächst aus drei miteinander befreundeten Musikern, die im nationalen Showgeschäft schon mächtig Punkte gesammelt hatten. Allen voran Lead-Vokalist Hardy Hepp, der zuvor als "Alpen-Tom-Jones" und Schlagersänger bei LIBERTY/UA unter Vertrag gestanden und zudem die Titelmelodie zu Klaus Lemkes Spielfilm "Negresco" gesungen hatte. Drummer Düde Dürst hatte vier Jahre lang in der legendären Beat-Band LES SAUTERELLES gepielt, die einige Hits erzielt und zwei Lp^s aufgenommen hatten. Multiinstrumentalist und Sitar-Guru Walti Anselmo hingegen war gerade zum Champion eines großen Schweizer Rythm & Blues-Festivals gewählt worden und somit auch dafür prädestiniert, dem frischgeschlüpften KROKODIL den nötigen Biß zu geben. Binnen weniger Wochen rekrutierte das Stammtrio zwei weitere Mitspieler: Moio Weideli (Mundharmonika, Flöte, Gesang) und Terry Stevens, ein waschechter ex-Londoner, der schon bei den SAUTERELLES als Roady in Lohn und Brot gestanden hatte.

Als die komplette Mannschaft am 9. April zu einer Pressekonferenz im Züricher "Blow Up" erschien, wies sie nochmals auf ihre Kritikpunkte an der schweizerischen Popszene hin und gelobte gleichzeitig, schon bald für frischen Wind im Land zu sorgen: "Bloß kein Rückfall in "kommerzielle" Gefilde," hieß es da ohne Umschweife, "niemand soll uns bestimmen können, weder ein Manager, noch sonst jemand. Wir wollen frei sein von allen möglichen nichtmusikalischen Interessen. Gute Musik entsteht nur, wenn sie frei ist."
Dennoch mußte sich KROKODIL auch schon bald den Erfordernissen des täglichen Broterwerbs stellen. So war die erste Single-Veröffentlichung "Camel is top" eine Auftragskomposition für den Zigarettenhersteller Reynolds. Der flotte Werbesong erschien auf einer bebilderten Flexi-Disk, die bei Tanzveranstaltungen und in Diskotheken kostenlos verteilt wurde. Immerhin wurde KROKODIL so auch in der Schweizer Jugendszene bekannter. Desweiteren durfte die Band neben dem Camel-Song gleichzeitig noch ein Demo mit sechs eigenen Werken aufnehmen - für zukünftige Bewerbungen bei Schallplattenfirmen. Während der vielen Verhandlungen mit unterschiedlichen Companies zeigte sich allerdings, daß Hardy Hepp aufgrund seiner Schlagervergangenheit wohl den meisten Eindruck auf die Plattenbosse machte. Seine persönlichen Verbindungen zu LIBERTY-Direktor Sigi Loch führten jedenfalls zu einem günstigen Vertrag, der KROKODIL mindestens zwei Singles und eine LP-Veröffentlichung garantierte. Desweiteren setzte sich der Chef persönlich dafür ein, daß seine Schützlinge nach allen Regeln der Marketingkunst gepusht wurden. Mit Erfolg: Schon von der ersten Liberty-Single: "Don´t make promises", einer umarrangierten Tim Hardin-Komposition, wurden allein in der Schweiz 4000 Exemplare abgesetzt, wodurch die Newcomer in Windeseile zur nationalen Topband aufstiegen. Aber auch in Deutschland war LIBERTY für die Schweizer aktiv und bemüht, KROKODIL als einen ernstzunehmenden Act mit Zukunft zu etablieren. Um den Musikern für ihre erste Langspielplatte optimale Arbeitsbedingungen zu ermöglichen, schickte man sie für zwei Tage ins Münchener Trixi-Studio, wo sie ihre Songs zunächst als Demo aufnehmen sollten. Als Sigi Loch noch am gleichen Abend die Bänder präsentiert bekam, entschied er allerdings, das eingespielte Material unverändert für die Platte zu übernehmen. So kam es tatsächlich, daß das komplette Debütalbum bereits nach einem Durchgang schon fertig im Kasten lag - ein sensationelles Ergebnis, das natürlich nur den enormen Live-Qualtäten der Band zu verdanken war.

So war es auch kein Wunder, daß KROKODIL - ähnlich wie die britischen MAN - sein künstlerisches Potential nirgendwo besser entfalten konnte als live auf der Bühne. Hier waren die Schweizer einfach spontaner, nahtloser und kreativer - kurz gesagt: Erste Klasse. Während das Repertoire auf Schallplatten mediengerecht gestückelt werden mußte, spielte KROKODIL live in einem Guß und begeisterte das Publikum mit überraschenden Tempiwechsel, neuen Arrangements und abgefahrenen Improvisationen. Leider gab es damals in der Schweiz längst nicht genügend lukrative Auftrittsmöglichkeiten, erschwerend kam hinzu, daß die einheimischen Rockfans lokale Bands ohnehin nicht besonders schätzten. Da half nur eins: KROKODIL konzentrierte sich zunehmend auf den deutschen Markt, wo die Chancen weitaus besser standen. Ob als "Einheizer" für Top-Acts oder auf zahlreichen Festivals, das schweizerische KRODKODIL war in jenen Jahren in Westdeutschland nahezu allgegenwärtig. Hier spielte die Gruppe zumeist in großen Hallen vor immerhin 6000 Zuschauern. Dennoch bestand weiterhin finanzieller Druck: Um nicht ständig in roten Zahlen zu stehen, war KROKODIL auf lukrative Nebenjobs angewiesen. Dazu gehörten unter anderem ein Soundtrack für den Industriellensprößling Willi Bogner, der in jenen Jahren sein Glück in der Filmbranche versuchte. War ein Auftrag abgewickelt, ging es schnell wieder zurück auf Tour, in der Regel im Package mit den deutschen Labelkollegen CAN und AMON DÜÜL .

- Teil 2 -
Rückzug in die Berge

1970 begannen die Promotioneinsätze von KROKODIL´s Plattenfirma LIBERTY erstmals Früchte zu tragen. Die Plattenverkäufe zogen deutlich an, die Schweizer feierten KROKODIL ob seines Vertrags im Ausland als nationalen Top-Act, während es sich bei den deutschen Konzertveranstaltern herumgesprach, daß die Musik der Alpenrocker ein zugkräftiger Import war. Nicht nur in virtuoser Hinsicht konnten die Schweizer überzeugen, sie waren auch fähig, auf der Bühne souverän zu agieren und spezielle Stimmungen zu erzeugen - eine besondere Gabe, bei der viele andere Bands einfach nicht mithalten konnten. Vor allem Walti Aselmo beeindruckte durch seine grandiosen Sitareinlagen als psychedelischer Zeremonienmeister. Über ihn schrieb das Hamburger Abendblatt: " ... zweifellos einer der interessantesten Musiker der deutschen Szene, mit einer Einschränkung: er ist Schweizer." Lässig-flippige Showeinlagen und ausufernde Spontansessions trugen gleichermaßen dazu bei, daß den KROKODIL-Leuten alsbald ein regelrechtes Kifferimage anhaftete. Allerdings nicht zu Unrecht: Während der langen Tourneereisen zusammen mit GURU-GURU, CAN und AMON DÜÜL gab es kaum Tage, wo irgendjemand in ihren Reihen noch von dieser Welt war. Zwischen den regulären Package-Konzerten beackerten die Schweizer auch angesagte Pop Festivals, wie zum Beispiel in München, Essen und in Aachen, wo sie zusammen mit PINK FLOYD auftraten. Gerade hier brachten KRODKODIL's Stage-Appearances auch Konzertbesucher aus dem Häuschen, die ansonsten teutonischen Rock ablehnten, was der Band wiederum neue Erfolgsperspektiven eröffnete. Dummerweise geriet gerade in dieser entscheidenden Durchbruchsphase das künstlerische Ruder etwas außer Kontrolle. Das lag vor allem daran, daß sich Hardy Hepp wieder mehr als solider Songwriter verstanden wissen wollte, während die anderen Bandmitglieder aus ihrer Spontanität und Spielfreude immer verrücktere Ideen schöpften. So gesehen kam man an einen Punkt, wo Kompromisse kaum noch möglich waren.

Nichtsdestotrotz mußten Verträge eingehalten, folglich also jedes Jahr auch eine neue Scheibe an LIBERTY abgeliefert werden; daran war nichts rütteln, wollte man weiter im Geschäft bleiben. Also legte KROKODIL kurzerhand eine Konzertpause ein und zogen sich in die Berge zurück, um dort angesichts der unberührten Natur wieder zum alten Feeling und zu neuen Ideen zu finden. Die Rechnung ging zumindest teilweise auf: Völlig zurückgezogen, inmitten der Bergketten und Gletscher entstand in wenigen Tagen "Swamp", ein wunderbares Album, das gegenüber dem Debüt kein Stück abfiel, wohl aber durchklingen ließ, daß Hardy Hepp´s Gesang deutlich in den Hintergrund getreten war. Es sollte auch seine letztes Projekt mit KROKODIL gewesen sein. Ende April 1971 trennte man sich im besten Einvernehmen und erhielt sich auf diese Weise die Freundschaft bis zum heutigen Tage. Fortan lief die Bandmaschine nur noch auf vier Zylindern und wandte sich noch weiter der Psychedelic zu - bis zum ihrem größten Meilenstein: "An Invisible World Revealed".

- Teil 3 -
Jenseits von Sekt und Selters

Nachdem Hardy Hepp bei KROKODIL das Handtuch geworfen hatte, ging die Restmannschaft trotzdem bald wieder auf Tour, zunächst in Deutshland unter dem Titel "Progressive German Rock Experience" und später auch durch Frankreich, die Niederlande und Österreich. Man mußte halt spielen, spielen und nochmals spielen, damit das Geld in der Bandkasse halbwegs reichte.

Aber auch das Tourleben an sich war aufwendiger geworden, denn neben den Transport- und Hotelkosten mußte mittlerweile noch eine feste Crew bezahlt werden. Und da mit Auftritten allein die Rechnungen kaum beglichen werden konnten, bergaben sich die Musiker noch anderweitig auf Jobsuche. In der Regel nahmen sie Studioaufträge an oder spielten hier und dort als Gastmusiker, unter anderem für Klaus Doldinger und den Schweizer BombastrockerTommy Fortman, alias DEMON THOR, der - wohlbemerkt inoffizell - die komplette KROKODIL-Mannschaft live und im Studio für sich einsetzte. Desweiteren nahm Düde Dürst im gleichen Jahr für Sigi Loch ein reines Schlagzeug-Opus (KROKODIL SOLO) im Stil von IRON BUTTERFLY´s "In-A-Gadda-Da-Vida auf, das sich recht gut verkaufte. Für Sigi Loch war es die letzte Gelegenheit, seinen Schützlingen unter die Arme zu greifen. Noch bevor LIBERTY 1972 von UNITED ARTIST übernommen wurde, wechselte der rührige Labelchef zu den Warner Brothers.

Als Bandleader von KROKODIL reagierte Düde auf die jüngste Entwicklung mit Skepsis, hatte aber weder Zeit noch Lust, sich mit Geschäftspolitik zu befassen. Vielmehr drängte es ihn, einen geeigneten Produzenten für das nächste Album aufzutreiben. Doch hierbei kamen den KROKODIL-Musikern ihre zahlreichen Studiojobs zugute. Ihr bester Kunde, DEMON THOR, stand nämlich unter Fittiche eines gewissen Dieter Dierks, der gerade dabei war, sein Studio in Stommeln auszubauen. Und schon damals hatte er massenweise modernstes Equipment angesammelt. Düde schwärmt heute noch in vollen Tönen: "Uns war gleich klar, das ist das gute Studio, da wollen wir hin. Umgekehrt hatte Dierks auch unheimlich Freude an uns. Was ihn ziemlich antörnte, war unsere Experimentierfreude. In der Hinsicht waren wir auf dem gleichen Trip. Er hatte Weitblick, wollte ständig neue Sounds ausprobieren und wir waren ebenso scharf drauf. Und das tolle Mellotron, das da stand, das hatte es uns besonders angetan. Insofern war es kein Wunder, daß "Invisible World Revealed" unsere bislang aufwendigste Produktion wurde, wir schafften knapp zwei Wochen dran. Und es war eine tolle Zeit mit Dieter Dierks."

Aber kaum stand die Platte in den Geschäften, erschütterte KROKODIL eine absolute Hiobsbotschaft: UNITED ARTIST hatte aufgehört zu existieren und alle Künstler standen einen auf den anderen Tag auf der Straße, ohne Vertrag, ohne einen Pfennig Geld. " Das hat uns ganz schön fertiggmacht," erinnert sich Düde, "wir waren ja meistens ziemlich breit, lebten unser Musikerleben und immer, wenn ich als sogenannter Bandleader mit Plattenfirmen zu tun hatte, brauchte ich erstmal einen anderen Cocktail mixen, um wieder fit zu werden... und dann diese Scheiße..."

Da es ums Ganze ging, sprich die Band ohne Deal kaum noch einen Pfifferling wert war, schwang sich Düde wohl oder übel ans Telefon und holte aus allen Ecken der Republik neue Angebote ein. Und dank der Popularität von KROKODIL ließen sich die Bosse auch nicht lange bitten. Die EMI Elekrola zeigte großes Interesse, das Ohrlabel wollte die Schweizer haben und ebenso die Frankfurter Firma Bellaphon. Letztere bekam den Zuschlag, weil sie von allen den besten Vorschuß zahlte: satte 40.000 Mark - eine Summe, die man sich auf keinen Fall nicht entgehen lassen konnte. Welche wahren Absichten hinter dieser Großzügigkeit steckten, kann man nur vermuten, aber es wurde schnell deutlich, daß KROKODIL in der neuen Firma längst nicht mehr die erste Geige spielte. Peter Haucke, damals der Hausproduzent von Bellaphon war ein erklärter NEKTAR-Fan, alles andere für ihn nur Pflicht. Sicherlich auch ein Grund, warum die Qualität der Bellaphon-Produktionen mit den früheren Werken nicht mehr mithalten konnte. Aber auch Plattenfirma selbst zeigte wenig Interesse am KROKODIL. Man erfüllte die Verträge, tat aber kaum einen Handschlag mehr und bremste so die Band immer weiter aus. Folglich lag die Vermutung nahe, daß Bellaphon in den Schweizern nicht wohl ausreichend Potential sah, um neu zu investieren, aber dann verhindern wollte, daß es mit der Band weiterging. Und ebenso schwer nachzuvollziehen war auch, warum die Verkäufe gegenüber den ersten drei Alben deartig drastisch zurückgingen. Laut Düde Dürst waren die Tentiemen, die ausgezahlt wurden, einfach lächerlich gegen das, was man zuvor durch Platten verdient hatte - was auch dann bald das endgültige Aus des Schweizer KRODKODILS bedeutete.

Reinhart Kotzsch